Berufliches Qualifizierungsnetzwerk für Migrantinnen und Migranten in der Sächsischen Schweiz
Situationsanalyse
BQN Sächsische Schweiz
Ergebnisse der Vorphase 01.01.-30.06.2003
1. Jugendliche mit Migrationshintergrund
- Typ I
Etwa 15% der Jugendlichen können als aktiv-zielorientiert charakterisiert werden. Diese Jugendlichen sind zugleich besonders erfolgreich und fühlen sich gut integriert, machen keine Schuldzuweisungen an Dritte bei eigenen Schwierigkeiten.
Die berufliche Integration in einer noch fremden Kultur kann am ehesten durch eine anspruchsvolle Begleitung im Sinne eines Coaching unterstützt werden.
- Typ II
Etwa 45% der Jugendlichen sind motiviert, aber unsicher. Die berufliche Integration kann durch solide berufliche Orientierung unterstützt werden und bedarf einer sozialpädagogischen Begleitung.
- Typ III
Etwa 30% der Jugendlichen ist pragmatisch. Diese Jugendlichen richten sich in den jeweiligen Umständen ein. Sie überlegen häufig einen Wechsel in westdeutsche Bundesländer mit tatsächlich oder vermeintlich einfacheren Bedingungen.
Die berufliche Integration kann durch klar strukturierte Beratungs- und Bildungsangebote unterstützt werden. Bei Verschlechterungen der Situation ist dieser Handlungstyp gefährdet.
- Typ IV
Nur etwa 10% der Jugendlichen sind entwurzelt und kaum motiviert.
Diese Jugendlichen bedürfen intensiver und professioneller psychologischer Hilfe sowie tiefgreifender Erfahrungen. Das soziale Umfeld muss sich ebenfalls ändern.
2. Diskutierte Ergebnisse
- Die große Mehrheit der jugendlichen Migranten empfindet weder die Region noch ihr Herkunftsland als Heimat. Diejenigen Jugendlichen, die sich sozial-kulturell integriert fühlen, haben dafür im Durchschnitt eine etwa 3jährige Phase intensiver Kontakte und sozialer Einbettung benötigt. Diese Jugendlichen haben zugleich deutlich bessere Aussichten für eine erfolgreiche berufliche Integration.
- Die Familie wird (anders als bei der Vergleichsgruppe deutscher Jugendlicher) als wichtigstes soziales Unterstützungssystem empfunden. Die meisten Jugendlichen wohnen noch bei der Familie oder im Wohnheim. Jedoch versagt gerade die Familie bei der beruflichen Orientierung!
- Die Inklusionsbedingungen für eine erfolgreiche berufliche Integration werden von Jugendlichen, Verantwortlichen in Betrieben und Trägern zum Teil recht unterschiedlich bewertet. Während z.B. Betriebe persönliche und soziale Kompetenzen sehr hoch bewerten, wird die Bedeutung dieser Kompetenzen von Bildungsträgern erstaunlicherweise eher als gering eingeschätzt. Bildungsträger legen dafür Wert auf schulisch organisierte Wissensvermittlung (möglicherweise geschuldet den Vorgaben finanzierender Auftraggeber, die nur „nachweisbare“ Qualifizierung vergüten).
- Besonders die weit überwiegende Anzahl kleinerer Unternehmen äußert generelle Vorbehalte gegenüber der Ausbildung bzw. Beschäftigung „ausländischer“ Jugendlicher. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu der ebenfalls geäußerten Auffassung,
dass allein Leistung und Arbeitsverhalten für eine Einstellung ausschlaggebend sind.
- Die große Mehrheit der befragten Jugendlichen ist motiviert für Ausbildung und Erwerbsarbeit. Jedoch fehlt es häufig an einer ausreichenden beruflichen Orientierung sowohl in Bezug auf die Anforderungen der Betriebe als auch in Bezug auf Chancen des regionalen Arbeitsmarktes und auch in Bezug auf das deutsche Berufsbildungssystem.
3.Regionale wirtschaftliche Entwicklungstendenzen
Die wirtschaftlich-soziale Situation des Landkreises Sächsische Schweiz wird durch Entwicklungen der Euroregion Elbe/Labe geprägt. Eine aktuelle Regionalstudie der Technischen Universität Dresden sieht die Stärke der Region in den (grenzüberschreitenden) Potenzialen der Wirtschaft und der Wirtschaftsstruktur.
Schwächen der Region liegen im Handlungsfeld Bildung und berufliche Bildung sowie in der noch mangelnden Herausbildung einer regionalen Identität in der deutsch-tschechischen Euroregion
Die berufliche Orientierung jugendlicher Migranten muss stärker an die Chancen des regionalen Arbeitsmarktes anschließen, als die bisher der Fall ist.
Wirtschaftliche Potenziale (Auszug):
- Die Region ist ein traditioneller Wirtschaftsstandort mit einer vielseitigen Industriestruktur (auf der sächsischen deutschen Seite dominieren Elektrotechnik/Elektronik, Maschinen- und Fahrzeugbau, sowie Leichtindustrie). Es hat ein bis zu 90%iger Abbau von Industriekapazitäten stattgefunden, seit 1997 beginnt ein noch schwaches Wachstum aus den restrukturierten Industrien heraus.
- Die Exportwirtschaft hat ein (für Regionen in den neuen Bundesländern bemerkens-wertes) zweistelliges Wachstum, der grenzüberschreitende Wirtschaftsaustausch insbesondere von Dienstleistungen ist noch ausbaufähig.
- Das touristische Potenzial in der Euroregion ist noch ausbausfähig (Nationalpark Sächsische Schweiz), das Marketing wird auf Naturtourismus und auf die deutsch-tschechische Euroregion profiliert.
- Im Landkreis Sächsische Schweiz sind Neueinstellungen im verarbeitenden Gewerbe (Metallbau, Kunststoffindustrie), im Hotel- und Gaststättenwesen sowie in der Alten-/Krankenpflege) geplant.
Schwächen in den Handlungsfeldern Bildung und berufliche Bildung (Auszug):
- Berufliche Bildung ist zu wenig bedarfsorientiert und arbeitsmarktkonform
- Es fehlt an einer flexiblen Abstimmung zwischen Unternehmen, Bildungsanbietern und finanzierenden öffentlichen Stellen.
- Unternehmen und insbesondere KMU haben nicht immer die Kapazität für eine intensive und professionelle Suche nach geeigneten Nachwuchskräften, zu häufig beginnen Jugendliche Ausbildungen, für die sie nicht geeignet/motiviert sind.
- es fehlt an geeigneten Bildungsformen, die ein lebenslanges flexibles Lernen ermöglichen.
4. Problemdarstellung
Der Landkreis Sächsische Schweiz liegt in der deutsch tschechischen Euroregion Elbe/Labe und hat die längste Grenze des Freistaates Sachsen zum Nachbarland Tschechien.
Der Kreis wird kategorisiert als „Gebiet ohne Verdichtungsansatz im ländlichen Raum“. Kennzeichnend dafür sind die
- dünne Besiedlungsdichte,
- wenige Industrie- und Gewerbestandorte,
- nicht ausreichend vorhandene Ausbildungs- und Arbeitsplätze
(vgl. hierzu Statistisches Landesamt Kamenz).
Die stark anhaltende Arbeitslosigkeit, nur zögernde wirtschaftliche Entwicklungen, fehlende Ausbildungsplätze lassen unter einer Vielzahl von Menschen diffuse Angstgefühle, Fremdenfeindlichkeit oder gar Hass gegenüber den neuen potentiellen Arbeitskräften aufkommen.
Die Bevölkerungsentwicklung im Landkreis Sächsische Schweiz ist stark rückläufig.
- Der Anteil der wegziehenden Bevölkerung beträgt seit 1998 pro Jahr ca. 9%,
- 53% der Menschen, die wegziehen, sind jünger als 35 Jahre;
- 85% haben eine abgeschlossene Berufsausbildung.
Der Abwanderungsdruck in den ländlichen Regionen wird ab 2006 extrem steigen, da in den Ballungsgebieten der Fachkräftemangel verstärkt einsetzt.
In den ländlichen Räumen gibt es keine flächendeckende Infrastruktur der Jugendhilfe.
Die derzeitige Zentralisierung (Schulen, Wirtschaft, Kultur, medizinische Versorgung) gefährdet die Perspektive in den ländlichen Regionen.